Brian Ales: „I’m a tüftler!“


Der New Yorker Brian Ales ist Komponist, Toningenieur und Produzent. Anfang der 1990er Jahre zog er das Interesse von David Byrne und Bill Frisell auf sich.

Bill Frisell spielte 1992 auf Brian Ales Debut „Naivité“. Die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Bill Frisell führte Ende 1994 zur Veröffentlichung des Industrial & Poetry Albums „American Blood / Safety In Numbers“. Dies ist ein bisher unveröffentlichtes Interview, das ich 1995 mit Brian Ales in seinem Studio in New York City führte.

Brian Ales kam von einem Workshop mit Filmmusik-Komponist Mike Post aus Los Angeles heim, hatte eben noch mit dem Shakuhatchi-Virtuosen Masakazu Yoshizawa in seinem Heimstudio ein Duett aufgenommen, da ließ er mich in der „720 Greenwich Street“ in Manhattan Platz nehmen. Wir schrieben den 4. August 1995. Manhattan brütete unter 41° C Hitze und Brian spielte mir Gitarrenlinien zu einem neuen Track vor, bevor er Apfelschorle in große Gläser kippte.

Volker Wilde: Brian, „American Blood/Safety In Numbers“ besteht aus zwei Alben. Kannst du mir die beiden beschreiben?

Brian Ales: Die 10 Tracks von „Safety in Numbers“ habe ich aus Samples von Bill Frisells Gitarren- und Banjospiel komponiert, über die Bill dann wiederum improvisierte. Das Ergebnis sind futuristische Industrial-Sounds. „American Blood“ dagegen zeigt in seinen 13 Tracks Bills typisch lyrisches Spiel zur gesprochenen Poetry seines Freundes Victor Bruce Godsey. Bei beiden Projekten fungiere ich als Produzent und Toningenieur. Beides erinnert viele an Filmmusik.

Volker Wilde: Mir geht es auch so, ich musste an zwei Filme denken, deren krass unterschiedlichen Soundtracks ich lausche. Wie kam es zu diesen grundverschiedenen Projekten auf einer CD?

Brian Ales: Als ich 1992 im Banff Center For The Arts zu arbeiten begann, schickte ich Bill (Frisell) einige meiner Tapes mit dem Angebot, doch mal etwas gemeinsam zu machen. Monate vergingen. Eines abends schellte das Telefon im Studio. Es war Bill, zögerlich sagte er: „Brian…meinst Du,…dass Du Zeit hast,…an einem Projekt mit mir…zu arbeiten?“ Ich versuchte, ruhig zu bleiben, sagte: „Ich denke schon.“ und gleichzeitig wurde meine freie Hand zur Faust, und die stieg langsam nach oben. Er kam dann zwischen Weihnachten und Neujahr mit seiner Frau und seiner Tochter. In seiner Hand hielt er einen dünnen Folder mit Stücken, die er in keinem seiner anderen Projekte hatte verwirklichen können. Und diesmal wollte ich nicht einfach nur der Typ sein, der halt hinter der Bandmaschine sitzt und aufnimmt.

Volker Wilde: Du hast in Banff aber doch auch für andere Künstler komponiert, und an „Naivité“ gearbeitet…

Brian Ales: … ja, meist war ich aber auf die Rolle des Toningenieurs beschränkt. Ich hatte kein Problem damit, dennoch: ich dachte eher an eine Zusammenarbeit, sagte Bill aber zunächst nichts davon. Wir nahmen zuerst zwei Soli für „Naivité“ auf. Dann seine Stücke, 5 bis 6 Spuren jedesmal. Das sollte es für die Woche gewesen sein.

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Brian Ales 1995 in seinem Studio in der Greenwich Street, New York City. Während des Interviews, ansich für den Rolling Stone, entdeckte Brians Katze ihre Lust daran, fotografiert zu werden. Fotos: © Boris Ciorra

Volker Wilde: Daraus wurde später „American Blood“ mit Victor Bruce Godsey?

Brian Ales: Genau. …Kurz vor Bills Abfahrt aber, in seiner letzten halben Stunde – seine Frau und seine Tochter saßen in Wintermänteln ungeduldig auf ihren Koffern – nahm Bill für mich ein 27-minütiges Solo auf.

Volker Wilde: Du warst es, der ihn darum gebeten hat?

„Bill Frisell wusste nicht, was ich mit seinen Aufnahmen machen würde!“

Brian Ales: Ja, das war von Anfang an mein Plan gewesen, vielleicht ein bißchen verschlagen von meiner Seite aus – ich wollte seine Soloimprovisation auf der Hard Disc des Computers haben, nicht nur auf Band. Es ist ein immens teures System, hier war meine Chance. Bill wusste nicht, was ich damit machen würde. Ich sagte ihm, ich würde herumspielen. Bill ist ein lässiger Typ und sagte nur: „Klar, kein Problem.“ Ich bat ihn, kurze Phrasen zu spielen, viel Platz dazwischen zu lassen. Meine Absicht war, alles was Bill gespielt hatte, in seine Fragmente zu zerlegen. Du kennst sein Spiel, so manches, was er macht, ist eher ein Geräusch, anderes einfach ein ungewöhnlicher Klang. Sechs Nächte verbrachte ich am Sampler und hatte schließlich eine Liste mit 170 verschiedenen Sounds. Dies ähnelte einer Kuhglocke, das einer Bassdrum, das einem Keyboard. Aus diesen Samples komponierte ich eilig zwei Stücke und schickte dies mit einem Rough Mix der anderen Aufnahmen an Bill. Ich wünschte mir Glück und ging aus dem Studio.

Volker Wilde: Und?

Brian Ales: Er war von meinen Kompositionen überrascht und begeistert, gleichzeitig enttäuscht von seinen eigenen Stücken. Bill hatte das Gefühl, das wäre halt der klassische Frisell und nicht mehr. Seine Idee war, seinen alten Freund Victor zu bitten, Gedichte zu seinen Stücken zu schreiben und so durch die menschliche Stimme, eine neue Dimension zu eröffnen. Zuerst hat er übrigens Arto Lindsay gefragt. Das Ergebnis war aber niederschmetternd. Nach sieben Monaten trafen wir uns in Banff wieder. Bill improvisierte über verschiedene meiner Kompositionen, inzwischen hatte ich zehn fertig. Victor sang und sprach über Bills Gitarrenstücke.

Volker Wilde: Mir kommt es so vor, als hättest Du solche Aufnahmen mit keinem anderen Gitarristen machen können, weil der Humor Deiner Samples Bills Spiel ziemlich nahe kommt.

Brian Ales: Ich bin froh, daß Du das sagst. Das ist großartig. John McLaughlin, nicht für mich! …Wenn ich´s mir überlege, hätte es vielleicht noch mit John Scofield klappen können. Nein, Bill ist es.

Volker Wilde: Bei diesem Projekt warst Du Toningenieur und Komponist, auf „Naivite“ bist Du zusätzlich noch als Gitarrist zu hören.

„The Talking Heads klingen, als wären sie vom Mars“

Brian Ales: Ich kann diese Bereiche kaum noch trennen. Manchmal wünschte ich mir einen Assistenten, der die Aufnahmen macht, denn ich versuche, mich heute mehr als Komponist zu sehen. Ich will Dir erklären, weshalb ich nicht nur das eine oder andere machen konnte…Es ist beinahe lächerlich, wenn ich heute darüber nachdenke. Auf dem New England Konservatorium entdeckte ich plötzlich die späten Beatles für mich. Du kennst den Anfang von „Come Together“. Da ist dieses simple, kindliche Schlagzeug-Fill. Das bizarre Ding scheint aus dem Nichts zu kommen. Das faszinierte mich, genauso wie die technische Finesse und Vision hinter der Produktion. Noch mehr beeindruckt haben mich die Talking Heads mit „Remain In Light“, weil sie Dinge taten, die ungewöhnlich waren. Hör´ Dir nur an, was der Bass und die Gitarre auf diesen Aufnahmen spielen, es klingt als wären sie vom Mars, jedenfalls ganz und gar nicht, wie ein Bass und eine Rockgitarre damals zu klingen hatten. Oder die Gitarrenarbeit bei frühen James Brown Aufnahmen. Dagegen kommt mir der Straight-Ahead Jazz immer so dumm vor. Du spielst das Thema für 32 Takte, es ist eine Pop-Melodie aus den 40ern oder so. Und dann spielen die Jungs 15 Minuten lang Soli über die Akkordverbindungen, bis schließlich wieder das Thema kommt. Ich kann nicht verstehen, daß alle Beteiligten nicht zu Tränen gelangweilt sind von dieser Form! Virtuosität hat mich nie beeindruckt. Vor allem nicht, wenn alle vorher wissen, wie´s klingen muss.
Mein ganzes Bestreben geht dahin, Neues wie aus dem Nichts zu schaffen. Das ist auch ein Grund, weshalb ich nicht auf dem Papier komponiere. Die Musik ist erst fertig, wenn die CD auf dem Tisch liegt.

Volker Wilde: Daher arbeitest Du also vorzugsweise oder zwangsweise allein?

Brian Ales: I´m a tüftler. (lacht) Ein tolles deutsches Wort!

Volker Wilde: Du weißt, dass das Wort auch einen negativen Beigeschmack hat?

Brian Ales: Ja, das ärgert mich. Denn nur Musiker werden so geschimpft! Um Deine Frage direkt zu beantworten: ich kann es mir nicht vorstellen, mit einer Band zu arbeiten.

Volker Wilde: Was hast Du denn seit Deiner letzten Veröffentlichung gemacht?

„Von Mike Post lernte ich, dass ich nicht für’s TV Musik machen will.“

Brian Ales: Es ist interessant, dass Du anfangs erwähnt hast, meine Musik erinnere Dich an Filmmusik. Tatsächlich versuche ich seit einiger Zeit, in dem Bereich Fuß zu fassen. Ich gewann im letzten Jahr bei einem von der BMI* gesponserten Wettbewerb für Filmmusik. Man lud mich nach Los Angeles ein. Ich wurde Produzenten und anderen Komponisten vorgestellt. Schließlich gab man mich einem Mentor an die Hand, dem legendären Mike Post.

Volker Wilde: Hat der nicht die Musik zu „L.A. Law“ geschrieben?

Brian Ales: Und „Law And Order“ und tausend andere Serien und Shows mehr. Von Bill Frisell zu Mike Post, das war ein heftiger Sprung. Ich saß plötzlich mit Mike im Studio und schaute mir eine Doktor-Serie auf dem Bildschirm an.

Volker Wilde: Konnte er Dir etwas beibringen?

Brian Ales: Von Mike habe ich gelernt, daß ich nicht für´s TV komponieren will. Nein, er brachte mir eine Menge fundamentaler Fertigkeiten bei. Ich zog sogar mit Sack und Pack nach L.A. und dachte, ich nehme die Stadt im Sturm, weil BMI denkt, ich wäre der Größte. Aber da hing der Gewinner vom Jahr zuvor noch herum und ähnlich gelangweilte Typen.

Volker Wilde: Was hältst Du von Jan Hammers Arbeit für „Miami Vice“? Könntest Du Dir das für Dich vorstellen?

Brian Ales: Jan Hammer hat einen guten Job gemacht. Ich halte es für möglich, selbst in Serien gute Musik unterzubringen. Ich hoffe für mich allerdings, nicht so zu enden. Ich möchte Musik für Filme komponieren. So langsam wird das zu einer lebenswichtigen Entscheidung. Denn ich kenne keinen, der von nicht-kommerzieller Instrumentalmusik leben kann. Als ich für „Naivité“ eine Plattenfirma finden wollte, rief mich David Byrnes Assistent an und sagte: „Wir hören Dein Tape seit Tagen im Büro. Es ist genial! Leider können wir aber nichts für Dich tun. Die Musik ist zu schwer vermarktbar.“

Volker Wilde: Du klingst besorgt.

Brian Ales: Klar. Der Kulturstatus in den USA sinkt beständig. Als ich in Deutschland und Frankreich war, habe ich beobachten können, wie sehr dort Kultur als „Schatztruhe“ gesehen wird. Künstler werden gefördert. Hier in den USA? Ich gebe dir ein Beispiel: Vor einem halben Jahr etwa fand ich in meinem Briefkasten eine Videokassette. Ein Werbespot für den Telekommunikationsanbieter Nummer 1 in den USA. In der beiliegenden Notiz wurde ich gebeten, über nacht Musik dazu zu komponieren. Mir blieben weniger als 22 Stunden. Am nächsten Morgen kam ein Bote und hat´s abgeholt. Der Spot lief mit meiner Musik. Bezahlt aber wurde ich 2 1/2 Monate später, das sind zehn Wochen!

Volker Wilde: Was hast Du in der Zwischenzeit gegessen?

Brian Ales: (lacht) Du bringst es auf den Punkt. So werden Komponisten hier in den USA behandelt. Ich könnte mir in der Tat vorstellen, eines Tages nach Europa auszuwandern.

Volker Wilde: In welches Land?

Brian Ales: (überlegt) Vielleicht… Deutschland. (lacht) Nein, lösch das, ich fühle mich einfach zu wohl in New York!

Volker Wilde: Brian, vielen Dank für das Gespräch.

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